„Geht es Dir gut?“, frage ich S., die vor mir an der Stange im Ballett steht.
„Ich war den ganzen Tag bis eben in Meetings“, sagt sie und sieht mich erschöpft an. Nein, das ist Quatsch, man sieht ihr die Erschöpfung an, weil ihre Bewegungen etwas langsamer sind, eine Kombination aus Mimik und Tempo. Ganz subtil. Tänzer sind Meister darin, Stimmungen zu erahnen, glaube ich. Wenn ihnen etwas auffällt, fragen sie: „Alles in Ordnung?“ Nur die Arbeit, meistens. Einfach bloß Erschöpfung. Reden, fragen, zuhören. Einfach bloß ein bisschen Verständnis und Mitgefühl, das tut schon gut. Tanzen ist wie eine Spiegelwelt, verrückt ist die Wirklichkeit auf der anderen Seite.
S. sagt, dass letzens ein Freund von ihr gesagt hat: „Ja, alles O.K., aber die Sehnsucht …“. Ja, sage ich, genau das. Sie sieht mich an, wissend und fragen zugleich. Die Sehnsucht schwebt zwischen uns. Sie sieht für uns beide jeweils anders aus. Gleich und doch verschieden. Wir lächeln. Freuen uns über das gegenseitige Verständnis und merken doch, wie tief das eigentlich geht. Wir gehen mit Wissen und Einverständnis weiter, jeder seiner Wege. Stimmt nicht, wir gehen nicht mit Wissen unserer Wege, sondern mit dieser großen Frage.
„Mir geht es eigentlich sehr gut“, sage ich zu S. und sage, ich würde jetzt gerne tanzen, in irgend einem dunklen Club, und denke, ich würde gerne zu Bella Lugosi’s Dead von Bauhaus in irgend so einem Siffladen tanzen.
„Bitte keine Ü50-Papi-oder-Mutti-Parties“, sage ich laut zu ihr. Sie lacht.
Draußen ist Nebel, Dunkelheit bis mindestens Februar. April, korrigiert mich eine Mittänzerin. Stimmt.
<3