Ich habe in meinem Zimmer eine körperhohe, zwei Meter breite Spiegelfläche an der Wand, in die ich täglich mehrmals hineinschaue. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so oft selbst gesehen wie in den letzten zwei Jahren.
Posen und Figuren
Ich kontrolliere Haltungen und Positionen, ich beurteile meine Pose. Posen sind die körperliche Darstellung innerer Zustände, mit denen wir kommunizieren oder Geschichten erzählen können.
Genau so verhält es sich mit der Mimik. Ich begann, meine Gesichtsmuskeln zu benutzen, zu trainieren – genau so wie ich meine anderen Körpermuskeln trainiert habe. Ich trainierte Grinsen, Grimassen und probierte jeden einzelnen Gesichtsmuskel aufs Äußerste zu bewegen, sie anzuspannen und entspannt auszuschütteln.
Jetzt nach zwei Jahren habe ich ein gutes Gefühl, wenn ich in den Spiegel sehe, weil meine Vorstellung von mir selbst mit dem äußeren Ausdruck zusammenpassen. Und ich finde, es sieht viel netter aus als vorher.
Sich des Körpers als Ausdrucksinstrument zu bemächtigen, fühlt sich gut an.
Das Training von Muskeln und Bewegung fängt damit an, dass man es tut und wie es sich anfühlt und erst in der nächsten Stufe, wie es aussieht, nämlich dann, wenn man sich relativ sicher ist und das Gefühl alleine nicht mehr hilft. Unter Umständen muss man aber erst das Fühlen lernen.
Das Spiegelbild
Im Unterricht betrachte ich mein Spiegelbild nur aus dem Augenwinkel, ich nehme nur das Gesamtbild wahr, die Kontur, das Schema. Ich konzentriere mich auf die Silhouette, ich sehe mir selten direkt ins Gesicht und selten auf bestimmte Körperpartien.
Worauf ich sehr genau im Spiegel achten muss, sind der Bauch und der Oberkörper, es fühlt sich nämlich richtig gut an, den Bauch und die Schultern einfach entspannt hängen zu lassen, sehr bequem. Aber man muss aber Schultern nach unten und hinten schieben, das Brustbein nach oben, den Bauch rein und das Gesicht entspannen. Ich konzentriere mich auf Haltungsfehler, nicht auf die Körperform.
Der Spiegel ist ein gutes Instrument, um zu kontrollieren, ob man kraftvoll arbeitet oder zwischen „kraftlos“ und „verkrampft“ schwankt. Das ist eines der Rätsel, wenn der Ballettlehrer uns zu mehr Kraft antreibt und dann ganz lässig sagt: Entspannt Euch, ganz locker! Fünfzehn schweißgebadete, ratlose Gesichter, auf denen „Ja, was denn nun?!“ geschrieben steht.
Korrektur
Wenn man tanzt, will man Ästhetik und Gesundheit verbinden, kein Mensch will sich krank tanzen. Gesundheit ist vielleicht weniger ein Zustand, als vielmehr eine Kommunikation mit seinem Körper.
Korrekturen, die sich nicht gut anfühlen, müssten schon sehr überzeugend sein, damit sie regelmäßig ausgeführt werden. Die Benutzung von Zahnseide gehört für mich dazu, fühlt sich überhaupt nicht gut an, aber ist absolut überzeugend. Bei manchen Formen im Ballett ist es schon schwieriger zu beurteilen, ob es nicht doch nur ästhetischen Charakter hat.
Korrekturen muss man ähnlich sehen wie Kritik: man muss klinisch und analytisch ihren Kern entblößen und die Vorstellung, die damit verbunden ist, betrachten und prüfen, wie man damit umgehen will: Will ich das auch, oder will ich das nicht, ist das nützlich und notwendig und führt mich zum Ziel?
Die 5. Position im Ballett ist so ein Beispiel. Die Füße in die Parallelstellung zu drücken, ist nicht gut für die Gelenke. Man die Muskeln entsprechend trainieren und selbst dann weiß man nicht, ob sich überhaupt etwas an der Stellung verändert. Die Außenrotation ist naturgegeben und gering veränderbar. Die Unversehrtheit der Gelenke ist wichtiger als die ästhetischen Vorgaben. Trotzdem wird man immer versuchen, in die perfekte 5. Position zu kommen, solange es nicht weh tut.
Kritik und Korrekturen brauchen ein großes Vertrauensverhältnis, eine tatsächliche Veränderung muss von beiden Seiten erwünscht sein.
Narziss
Ein anderer Aspekt wird in diesem Video diskutiert: Wie hängen der Mythos von Narziss und Ballett zusammen? Das Gespräch ist sehr interessant und spricht vieles an, was das Ballett ausmacht. Ich habe nicht alles im Detail angehört, aber soweit ich es erkennen kann, passt der Mythos von Narziss und Echo nicht zum Ballett. Vielleicht sieht das Bild oberflächlich ähnlich aus, was tatsächlich geschieht, ist etwas vollkommen anderes.
Was vielmehr deutlich wird, ist der eigentliche Kern des Balletts, nämlich die Musikalität. Alle Schönheit im Ballett hat ihren Kern in der Musikalität, in der Bewegung, der Kommunikation, der Körpersprache. Zwar ist es möglich, dass man den eigenen Anblick gerne mag, und das würde ich jedem Menschen wünschen, aber die eigentliche Liebe ist eine künstlerische. Und das kann in jeder Kunst zum Problem werden, nämlich dass man beginnt eine andere Sprache zu entwickeln, die andere anders verstehen.
Was wir in dem Bild des Narziss sehen, ist meist nur punktuell und lässt die anderen Elemente des Dramas unbeachtet: die Einsamkeit, die Unfähigkeit zu kommunizieren. Wir haben meist nur das Bild vor Augen, aber nicht das Drama der Unfähigkeit beider Figuren.