Sich wappnen mit True Crime

Foto von Stefano Pollio auf Unsplash

Wenn Menschen sich für wahre, unvorstellbare Verbrechen interessieren, könnte es daran liegen, dass sie empathisch sind, Erklärungen suchen und sich wappnen wollen.

Selbstschutz, Empathie und Gerechtigkeitssinn erklären also in weiten Teilen die weibliche Faszination für True Crime.

Die Forschung steht noch am Anfang. So ist bislang auch nicht gut untersucht, ob True-Crime-Konsum negative Auswirkungen haben und uns im Alltag ängstlicher, paranoider oder gewaltbereiter machen kann. Mein Rat: keine Sorge, wenn Sie True Crime mögen und sich gut dabei fühlen. Wenn sich Ihre Gedanken jedoch unablässig um Verbrechen drehen, gönnen Sie sich besser eine Pause – und wenden Sie sich wieder den helleren Seiten des Lebens zu.

Warum mögen Frauen True Crime?

Meine beiden Töchter hatten eine True Crime-Phase, die genau dadurch gekennzeichnet war, dass sie fassungslos und interessiert waren, genug unangenehme Erlebnisse selbst hatten und generell einfach wissen wollten, womit sie es da schlimmstenfalls zu tun haben. Das sind imaginierte Worst-Case-Szenarien. Wenn sie mir davon erzählt haben und ich die reale Gefahr eines solchen Verbrechens runtergespielt habe, haben sie sich nicht ernst genommen gefühlt, weil sie, wie gesagt, genug unerwartete Situationen erlebt haben. Deren Wahrscheinlichkeiten sind nicht meine. Und sie erleben immer und immer wieder, dass Männer das runterspielen, weil diese solche Erlebnisse nicht haben. Das ist mir klar geworden. Das Ergebnis der Untersuchung überrascht mich nicht.

Und:

… auch Freude am Rätselraten, die Sehnsucht nach Realitätsflucht oder ein Bedürfnis nach starken Emotionen spielen bei manchen eine Rolle.

Auf der anderen Seite steht die Kritik an der Produktion, nämlich, dass manche Formate nur Sensationsgier befriedigen. Die Kritik an der Machart ist sicher berechtigt, nur steht eben bei Rezipienten möglicherweise weniger Sensationgier dahinter als vielmehr ein realer Bedarf, weil sie sich bedroht fühlen (müssen). Bei 93 % der Befragten (600 Personen) in der Studie waren die primären Motive Selbstschutz, Empathie und Gerechtigkeitssinn.

Medienkritik beschäftigt sich scheinbar oft mit der Produktion und unterstellt Rezipienten etwas, was weder untersucht noch bewiesen ist.

Ich würde sogar soweit gehen, dass manche Medienkritik reine Heuchelei ist und nur unter dem Vorwand, die Ästhetik zu betrachten, insgeheim die Eigenschaft den Rezipienten zu unterstellen: dumm, kitschig, oberflächlich, sensationsgeil, boulevardesk etc. Manche Medienkritik richtet sich scheinbar gegen das Medium, kritisiert aber durch Unterstellungen die Rezipienten. Das ist so als würde man jemanden für schizophren halten, der eine Van-Gogh-Ausstellung besucht. Wer True Crime-Geschichten anhört oder liest, wird für sensationsgeil gehalten. Wer Ego-Shooter spielt, für gewaltbereit. Wer Fantasy liest, für realitätsfern. Die Kritik gibt vor, das Medium zu betrachten, wertet aber die Menschen ab, die es nutzen.

Diese Trennung zwischen Geschmack und Analyse fehlt mir oft. Einfach mal den Weg über das Gefühl wagen, nachfragen, zuhören. Ich bin davon nicht frei, in Bezug auf Musik wird man mir das auch anmerken, aber zumindest reflektiere ich das und stelle mein geschmackliches Urteil in Frage. Die Haltung wirft einen nämlich auf sich selbst zurück. Und durch zunehmende Medienformate wird man schnell orientierungslos, aber einfache Urteile und Regeln helfen wenig. Deshalb bin ich für solche oben genannten Untersuchungen dankbar.

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