Mein Bildungsweg war ziemlich holprig. Es hat lange gedauert, bis ich mein Können, mein Wissen und meine Fähigkeiten selbst in die Hand genommen habe und mir geeignete Menschen gesucht habe, die Ahnung haben.
Das ist kein Vorwurf, sondern die Herausforderung, mit der ich mein Leben lang zu tun habe. Ich will das weder großreden noch kleinreden, ich will mir nur klarwerden, was das für mein Leben bisher bedeutet hat, jetzt bedeutet und vielleicht bedeuten wird.
Förderung ist eine schwierige Kunst – sie braucht Geld, Disziplin und Liebe. „Hoffentlich merkt er noch nicht, wie gut er ist“, ein Satz, den ein Kunstlehrer zu uns angehenden Kunstlehrern gesagt hat, der einen begabten Schüler in der 6. Klasse hatte, weil solch ein Kind Ausbildung braucht, nicht übermäßiges Lob.
Der Kern meiner Einstellung zu mir selbst: Mir geht es nicht um Bewunderung, sondern um Respekt. Bewunderung gilt der Leistung, dem Äußeren, der Performance. Respekt gilt dem ganzen Menschen.
Was mir immer gefehlt hat: Man möchte als ganzer Mensch gesehen werden. Man muss, wenn man seine Stärken betrachtet, auch seine Schwächen, Ängste und andere Bedürfnisse kennen – und jemand muss einen dafür ernst nehmen. Sonst fühlt man sich immer hohl und unerfüllt und definiert sich nur noch durch das, was man tut. Nur für seine Leistung gelobt zu werden, bedeutet, dass der Rest von einem unsichtbar bleibt.
Mit diesem Bedürfnis nach Sensibilisierung bin ich sicher nicht alleine, nur fragt man sich, wann, wo, in welchem Rahmen und wie? Auf diese Frage gibt es keine gesellschaftlich eindeutige Antwort außer: Sei kein Arsch. Sei nett zu dir selbst, sei nett zu anderen. Das ist zu wenig für einen selbst. Und ist man dann selbstverliebt? Zu narzisstisch? Zu selbstbezogen? Zu egoistisch?
Das hat dazu geführt, dass ich sogar an meiner eigenen Leidenschaft zweifle. Ist sie möglicherweise selbst eine Form von Selbstverliebtheit? Oder führt sie mich dahin? Diese Unsicherheit zeigt, wie tief die Verunsicherung durch das Fehlen echter Förderung gehen kann. In Wahrheit habe ich mich klein gemacht, bevor andere es tun.
Innerhalb meiner Peergroups bin ich talentierter Fortgeschrittener, egal ob Gitarre, Bass, Tanzen, Zeichnen oder Malen. Begabt in kleiner Gruppe, zu wenig Können für eine größere.
Ich habe immer phasenweise ein Lebensmotto, mein momentanes ist „Ball flach halten“, und nicht freiwillig auf die Bank setzen. Mehr Boule als WM.
Diese Erfahrung hat mich dazu gebracht, über Narzissmus und Selbstwert nachzudenken – besonders im Kontext von Performance und Kunst.
Performance und Selbstwert
Justin Hawkins schrieb auf Instagram, dass Frontman-Sein eine Mischung aus Sport und Business sei. Dieser Gedanke lässt sich auf Ballett, zeitgenössischen Tanz, Musik und auch auf Sport selbst übertragen: Die Performance – Pose, Perfektion, Ästhetik, körperliche Leistung – darf nicht mit dem Selbstwertgefühl verknüpft werden. Es muss eine klare Trennung geben zwischen dem, was man auf der Bühne, im Studio oder auf dem Sportplatz tut und darstellt, und dem eigenen Wert als Mensch. Man kann seinen Körper in Form halten und sich um seine Gesundheit kümmern, aber die grundsätzliche Beziehung zum eigenen Körper und zu sich selbst als Person darf durch die Performance nicht beeinträchtigt werden.
Doch hier entsteht ein Konflikt: Wenn man Tanz, Musik oder Sport als Mittel nutzt, um Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen, wird es kompliziert. Denn in echten zwischenmenschlichen Beziehungen will man als ganze Person auftreten, nicht nur als Tänzer oder Musiker. Ob dabei überhaupt eine echte Verbindung entsteht oder ob es sich nur um das zufällige künstlerische Zusammentreffen zweier Menschen handelt, die sich rein über diese Kunst verbunden fühlen, bleibt oft unklar.
Was ist Narzissmus wirklich?
Was wir heute als Narzissmus bezeichnen, ist in Wahrheit oft eine Persönlichkeitsspaltung mit unterentwickelten Persönlichkeitsanteilen. Es ist die Kombination aus einer grandiosen Selbstvorstellung bei gleichzeitiger Angst vor den eigenen Unzulänglichkeiten – und deshalb hebt man die Unzulänglichkeiten der anderen hervor. Soziale Medien verstärken diese Tendenz.
Narzissmus beschränkt sich nicht auf künstlerische Bereiche. Man kann sich in Mathematik für brillant halten, in Biologie für wegweisend oder beim Nudelkochen für außergewöhnlich. Die Grandiosität heftet sich an alles, egal wie trivial oder alltäglich es ist. Es braucht nicht einmal objektives Talent oder echte Kompetenz.
Das Paradoxe daran: Der Narzisst findet zwar das, was er macht, außergewöhnlich, verhält sich aber anderen gegenüber unattraktiv. Er versucht seine vermeintliche Überlegenheit durch Demütigung und Herabsetzung anderer zu beweisen. Aber mit tatsächlicher Kompetenz oder Attraktivität hat das nichts zu tun.
Der Narzisst versucht die ganze Zeit, diese fehlende Attraktivität zu erreichen, aber er bewegt sich in eine völlig falsche Richtung. Das Ziel liegt woanders – hinter ihm, rechts oder links. Und das merkt er nicht. Anstatt innezuhalten und einen anderen Weg einzuschlagen, macht er einfach weiter.
Das männliche Dilemma
Und irgendwo zwischen diesem selbsternannten Genie oder Profi und einem ganz normalen Menschen pendeln wir uns als Männer ein. Warum ist das für uns so ein Problem? Warum habe ich den Eindruck, von so viel Narzissmus und verdrängter Unsicherheit umgeben zu sein?
Ich glaube, die Antwort liegt in einem binären Erfolgsdenken: Männer werden oft mit der Botschaft sozialisiert, dass sie entweder herausragend sind – der Beste, der Champion, das Genie – oder nichts. Es gibt kulturell wenig Raum für das Eingeständnis: „Ich bin ein ganz normaler Mensch mit Stärken und Schwächen, und das ist vollkommen okay.“ Dieses Dazwischen-Sein fühlt sich wie Versagen an.
Hinzu kommt eine fehlende emotionale Sprache: Männern wird oft nicht beigebracht, mit Unsicherheit, Selbstzweifeln oder Normalität umzugehen. Es fehlen die Worte und Werkzeuge, um zu sagen: „Ich bin okay, auch wenn ich nicht außergewöhnlich bin.“ Stattdessen: Verdrängen, Überkompensieren, Grandiosität.
Männliche Identität wird zudem stark über das definiert, was man tut oder kann, weniger über das, wer man ist. Wenn die Leistung nicht außergewöhnlich ist, bleibt eine Leere. Also wird Mittelmäßigkeit zur Nudel-Kochkunst aufgeblasen, um sich wertvoll zu fühlen.
Das Ergebnis: Viele Männer wissen heimlich, dass sie „nur normal“ sind, dürfen es aber nicht sein – und verfallen deshalb entweder in Unsicherheit oder in Selbstdarstellung. Beides sind Vermeidungsstrategien vor der einfachen, aber für viele schwer zu akzeptierenden Wahrheit: Normal zu sein ist vollkommen in Ordnung, aber so schwer zu erreichen.