Drüberwegschnoddern

Da ich mich ja schon seit Jahren regelmäßig mit Freunden treffe, um über Musik zu reden und uns gegenseitig Musik vorzuspielen und darüber auszutauschen, merke ich, dass jeder nicht nur einen Geschmack, sondern im Speziellen echte Aversionen gegen irgend etwas hat. Und jeder hat eine andere. Das ist ein deutliches Zeichen, dass da mehr dran hängt, deshalb habe ich mich gefragt, was bei mir der Grund ist und was mich genau stört.

Das Leben ist nichts, worüber ich einfach so lässig drüberwegschnodder. Ich finde es toll, wenn jemand ungeschönt sein Ding macht, ich höre mir das nur nicht an oder lese darüber, weil mir das nichts über mich erzählt. Deshalb kann ich mit vielem aus der Generation nach mir nichts anfangen. Da reichen schon zehn, zwanzig Jahre weniger. Eher so ein 90er-Ding.

Ist das eine Art von Popliteratur? Ein Tagebuch, in das man eben nicht genau schreibt, was man denkt oder sagen möchte, weil es ja öffentlich ist? Stream of consciousness? Ich habe eine andere Beziehung zu Menschen und meinem Leben. Ich hatte andere Voraussetzungen. Ich denke immer, dass es denen recht gut ging, dass sie nie Existenzängste hatten. Was ja schön ist. Da fehlt es aber auch an Ernsthaftigkeit und einer gewissen Dringlichkeit. Es ist mir zu beliebig, zu wenig zwangsläufig.

Freunde von mir hören so etwas und finden das gut. Ich merke, ich teile ihr Lebensgefühl nicht. Ich bin überzeugt, dass es da einen enormen Unterschied gibt, nämlich wie man auf seine Vergangenheit blickt und wie man aufgewachsen ist.

Deshalb klingt meine Musik ganz anders. Ich bin ein Freund von ehrlichen, verständlichen Texten, die eine Idee haben und sich entfalten. Beziehungen und Beziehungsverhalten, das ist mein Thema. Aber auch Anspruch und Talent. Vielleicht hätte mir ein bisschen Lässigkeit gut getan, aber es ist, wie es ist.

Und dann ist mir klargeworden: Es geht um Rhythmus, Text und Gefühl. Drei Komponenten, die für mich entscheidend sind. Wobei Gefühl immer da sein muss, echtes, unironisches Gefühl. Manches kann lustig aussehen, ist es oft aber nicht. Das ist meine Geschichte. Die anderen beiden Komponenten können variieren: Rhythmus und Gefühl, wenn ich tanze. Text und Gefühl, wenn ich wirklich zuhöre. Am besten alles drei zusammen.

Die Gitarren-Musik aus den 90ern bis in die 2000er rein, die meine Freunde mögen, hatte nichts davon. Keinen Groove, keine schwarze Musik, ich meine damit: kein Funk, kein Soul, kein Reggae. Und die Texte? Beliebig. Fragmentiert. Als hätten für die Leute nie wirklich etwas auf dem Spiel gestanden. Satte Typen aus bildungsbürgerlichen Milieus, die es sich leisten konnten, lässig zu sein.

Dass man die Musik seiner Kindheit und Jugend hört, ist kein Genrethema, sondern ein biografisches. In jedem Genre können sich ganz unterschiedliche Gefühle und Themen formen. Und Genres haben mit musikalischen Systemen sowieso nur bedingt zu tun. Ich habe mit zehn leidenschaftlich gerne Mike Oldfield gehört, nicht weil er ein netter, interessierter Mensch war, sondern weil das in seiner Musik erkennbar war. Und als mit zwölf Disco, Reggae, The Police, Talking Heads und The B52’s kamen, ging es um Lebenswelten und meine Geschichte darin.

Ab Mitte der 80er war es mit der Dringlichkeit vorbei und man konnte sich etwas leisten. Man konnte sich Sounds und Klänge leisten. Streicher und Chöre, satten Bass, volle Gitarren. Rock war kein Lebensgefühl mehr, sondern ein großer Spaß oder einfach bloß Attitüde. Es war alles egal, man war sich egal.

Ich denke an River Phoenix, der vor dem Viper Room starb, während seine Freunde drinnen weiterfeierten. Oder an das tote Baby in Trainspotting, das in der Ecke liegt, während alle weiter auf Drogen sind. Das ist für mich das Paradebeispiel dieser Zeit: Freunde, denen die Freunde scheißegal sind, die nur für ihren eigenen Spaß da sind. Diese Oberflächlichkeit, diese Selbstbezogenheit – das war die Atmosphäre. Niemand hat wirklich hingeschaut. Alle waren zu beschäftigt damit, cool zu sein oder high zu bleiben.

Ich habe diese gesellschaftliche Situation auf meine Weise mitgenommen. Immer auf der Suche nach echten Beziehungen. Der Ernst des Lebens war mein Studium, deshalb habe ich in der Musik nicht mehr viel gesucht.

Ich bin in den 90ern tanzen gegangen und habe auf Texte nicht geachtet. Clubs, elektronische Musik – das war meine Phase zu der Zeit. Körper, Rhythmus und kollektive Energie. Vorher, als Teenager, war ich introvertiert und brauchte Musik mit Haltung und klaren Aussagen. Musik, die Groove und etwas zu sagen hatte. Auch Rhythmen haben etwas zu sagen. Heute brauche ich beides: Ich nehme Tanzunterricht und höre gleichzeitig zeitgenössische Singer-Songwriterinnen, die wirklich über Gefühle schreiben können. Ohne Ironie, ohne Distanz. Das ist eine neue Ernsthaftigkeit. Und das will ich auch.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich regelrecht Aversionen gegen diese 90er-Attitüde. Dieses Privileg, sich Beliebigkeit leisten zu können. Ich bin darauf nicht neidisch, ich will es gar nicht haben. Diese rhythmische Unfähigkeit, diese textliche Belanglosigkeit. Und das Schlimme ist: Wenn ich das meinen Freunden so sage, werden sie sauer, weil das ja ihr Lebens- und Selbstgefühl ist. Jede ästhetische Position entwertet zwangsläufig andere.

Es ist nicht so extrem, wie es klingt. Ich teile mit meiner Band die Liebe zu Yo La Tengo. Unser Sänger kann und will nicht tanzen und wenn dann würde er zu Yo La Tengo höchstens den großen Zeh bewegen und das ist für mich absolut in Ordnung. Um die Menschen, die die Musik mögen geht es mir nicht, mir geht es um die Musik und Bands. Ich sage auch nicht, dass sie schlecht sind, ich sage nur, was ich brauche. Das ist wie mit Sex. Jeder braucht es anderes und individuell, und es ist niemandem aus irgend etwas ein Vorwurf zu machen. Ich will mich nur in der Musik wiederfinden. Das ist wie mit dem Lesen. Und natürlich denke ich dann: Wer meine Musik nicht mag, mag einen Teil von mir nicht. Ich will und muss überhaupt nicht vollständig gemocht werden, bloß mit Respekt behandelt werden. Und das passiert zwischenmenschlich oft nicht, weil man sich über seinen Geschmack behandelt.

Ich kann jemanden vollständig als Mensch respektieren, auch wenn ich seine Musik nicht mag. Ich mag nur keine sinnlose Beliebigkeit.

Ich denke an Musiker, die wirklich von sich singen, die sich nie emotional bedienen. Alles kommt aus ihrem Körper, ihrer Erfahrung, ihren Widersprüchen. Das ist das Gegenteil von denen, die handwerklich brilliant sind, aber denen die Notwendigkeit fehlt. Sie verarbeiten fremde Geschichten, fremde Schmerzen. Sie leben von den Gefühlen anderer. Das ist Kunst als Dienstleistung, nicht als Ventil. Und Männer bedienen sich oft an Frauen, weil die für Gefühle zuständig sind und sich da besser ausdrücken können, schieben sie vor, schreiben ihnen vor. Bis sie ihren musikalischen Weg selbst in die Hand nehmen.

Ich hatte bisher immer nur „so ein Gefühl“, dass da etwas nicht stimmt. Aber jetzt, nach dieser ganzen Überlegung, merke ich: Das Gefühl war genau richtig. Ich musste nur die Worte dafür finden. Mein Körper wusste es schon. Ich bin instinktiv zu der Musik gegangen, die entweder groovt oder etwas sagt. Am besten beides. Aber niemals diese rhythmuslose, textlich beliebige Mitte.

Musik muss für mich Ventil sein oder neue Klangform. Oder beides. Alles andere ist Rauschen. Wenn ich höre, suche ich etwas in der Musik. Früher hat mich die Musik unmittelbarer getroffen.

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