Am Wochenende habe ich den Film Embrace gesehen, eine Dokumentation über ganz unterschiedliche Frauen, die sich nicht mehr dafür interessieren, wie andere ihr Aussehen finden, und die ihr charakteristisches Aussehen schön finden, weil sie sich selbst lieben.
Ich verstehe die Intention des Film und unterstütze ihn sehr. Ich bin auch als Mann davon betroffen. Das Urteil anderer Menschen über mich hat mir den Blick aus mir selbst heraus verbaut. Ich bin damit aufgewachsen eine Fremdsicht auf mich zu haben. Durch das Tanzen habe ich gelernt, eine Sicht aus mir heraus zu entwickeln, nicht auf Andere, sondern auf die Welt. Ein Prozess, ein Weg, kein Zustand.
Ich möchte, dass jeder Mensch diese Möglichkeit hat und das die Aussagen und Urteile über andere zurückgehen. Ich möchte, dass wir lernen, anderes über uns zu reden. Ich möchte, dass wir uns mehr Komplimente machen, und das wir lernen, Komplimente anzunehmen. In beidem war ich nämlich immer sehr schlecht, und ich habe den Eindruck, dass es kaum noch echte Komplimente von ganzem Herzen gibt, das Meiste sind Urteile darüber, ob Formvorstellungen erfüllt sind oder nicht. Und das erfordert Lernen auf beiden Seiten.
Schöne Worte. Und das Ballett bietet ja genau dazu ziemlich viel Stoff.
Mein Ballettlehrer wurde mal gefragt, ob man für Ballet eigentlich dünn sein muss. Naja, antwortete er trocken, je weniger Gewicht man hat, desto höher kann man springen. Und auch beim Pas des deux spielt das Gewicht eine Rolle. Aber, und das halte ich für sehr wichtig: In jedem Moment hat sich der Tanz an die Gegebenheit des Körpers zu richten, und die Frage, ob man etwas verändern will, muss sehr genau und geprüft werden, offen und mit allem Respekt, auch sich selbst gegenüber. Konkret heißt das bei meinem Pas des deux zum Beispiel, dass wir eine Hebung weglassen. Denn auf die Fragen beim Ballett, die das Alter oder den Körper betreffen (Bin ich zu alt, groß, schwach oder dick?) gibt es nur eine Antwort: Nein.
Jede Besonderheit ist liebenswert und jeder Mensch ist schön. Das ist eine Wahrheit, die für alle gilt. Und alle heißt eben nicht, dass es auf jedes Individuum in jedem Moment zutrifft, sondern, dass es unsere Aufgabe ist, dies zu erkennen und zu erfüllen. Und das ist viel mehr als eine Aufforderung an mich selbst zu verstehen als an andere. Ich nehme das Wort „Selbstdisziplin“ sehr ernst, das heißt aber auch, dass Disziplinen nicht blind übernommen werden, sondern eben auch selbst entwickelt, angepasst oder verändert sind. Denn jeder Mensch hat seine Besonderheiten und Grenzen.
Nach einer kulturellen Phase der scheinbar grenzenlosen (technischen) Möglichkeiten, deren Utopie wir ins Persönliche übernommen haben, kommt jetzt vielleicht die Phase des Respekt und der Liebe. Das beginnt mit Selbstliebe (im Unterschied zur Selbstzufriedenheit).