Also. Donnerstag war ich im Swing-Kurs. Der Unterricht wird geleitet von meinem Traumpaar, Traum deshalb, weil ich den Lehrer und die Lehrerin so gut verstehe und ich gut bei ihnen lerne. Die Gruppe war toll, ich konnte mit allen gut tanzen. Leider ist die Gruppe zu klein und wird wahrscheinlich nicht weitergeführt, deshalb werde ich in einen Solo-Swing-Kurs gehen.

Samstag war Contemporary, ich weiß jetzt, was wir dort machen, ich habe die Lehrerin gefragt: Merce Cunningham und Release-Technik, und dann noch manches, was man im Capoeira oder auch im Ballett findet. Vor allem aber Cunningham und Release. Ich finde den Unterricht sehr gut, die Gruppe ist recht klein und die Rückmeldungen und Korrekturen sehr genau. Wie immer bei mir, habe ich Potential, aber ich muss viel trainieren (körperlich) und lernen, um das zu entwickeln. In Cunningham arbeite ich mich gerade rein, ich bin gerade ziemlich begeistert von seinem Lebenswerk, seiner Arbeit und seiner Technik.

Wir haben eine Neue im Kurs, die auch Ballett macht und die mit viel Elan und Können an die Sache reingeht, sehr nett und direkt und offen und sympathisch ist sie, eine sehr seltene Kombination. Ich weiß ja nicht, wie ich es beschreiben soll, es klingt so esoterisch, aber es ist offensichtlich, dass sie es ziemlich gut gemacht hat, einfach weil sie genau die richtige Art Hemmungslosigkeit hatte, man muss der Energie und der Kraft ganz offen freien Lauf lassen, dann klappt’s besser. Unsicherheit und Hemmungen sind ganz schlecht für’s Tanzen.

Gestern waren wir mit einer Freundin spazieren, die mich begeistert zum Tango animieren möchte. Ich hörte mir ihre Geschichten und Beschreibungen und bekam vom Zuhören Ausschlag. Wenn ich mich mit einem Menschen verbinde, und zwar auch im Tanz, dann nur als ganzer Mensch in all seiner Freiheit und Selbstständigkeit. Eine (Schein-)Symbiose in perfekte Form gepresst, mit geringen Freiheitsradius, ist mir geradezu zuwider.

Ballett kennt solch eine Wunschsymbiose nicht, Ballett ist kein Paartanz, Ballett ist ein Tanz von Einzelpersonen, die nur für den Moment der Aufführung gemeinsam auf der Bühne, oder die im Unterricht auf einer imaginären Bühne stehen. Dabei kann es zu emotionalen Begegnungen kommen, die aber nur eine Art Nebeneffekt sind. Also entweder tanze ich oder ich habe Partnerschaft, Beziehungen oder Sex, aber das bitte voneinander trennen. Sich als freie, selbstständige Menschen erleben, die sich mit Humor und Freude und in Liebe zu ihren kleinen Fehlern und Eigenheiten und Besonderheiten und Ungereimtheiten freundlich und friedlich und lustvoll begegnen, so will ich gemeinsam tanzen. Also Paartanzen. Sonst gerne Tanz als Theater, als echte Profession der Darstellung. Tango sieht aus wie Sex mit Bettdecke drüber, falls die Schwiegermutter reinkommt. Für’s Tanzen braucht man einen freien Kopf, in jeder Hinsicht. Außerdem finde ich sehr absonderlich, dass mir immer versichert wird, Tango hätte nichts mit Sex zu tun. Ich würde ja auch nie behaupten, Ballett hätte nichts mit Sex zu tun. Natürlich hat es das, nur ist es das nicht. Als ich Salsa gelernt habe, hatte ich viel Spaß, nur eines Abends ging ich Samstags auf eine Salsa-Party und merkte, dass es vorrangig eine Balzveranstaltung war. Schade eigentlich. Wenn ich Tango sehe, bekomme ich Lust, nackt um einen Baum zu tanzen.

Für mich gibt es da eine ganz klare Ansage, eine Frage, die man sich selbst stellen muss, unter Berücksichtigung allerintimster Geheimnisse und Sehnsüchte: Weshalb tanze ich?

Meine Antwort lautet: Ich will mich als freier, selbstständiger Mensch erleben. Einer der mit Humor und Freude und in Liebe seinen kleinen Fehlern und Eigenheiten und Besonderheiten und Ungereimtheiten freundlich und friedlich und manchmal auch lustvoll begegnet. Einer der seine allerintimsten Geheimnisse kennt und in der Lage ist, sie zu formulieren, in Wort, Schrift, Musik, whatever.

Ich kann es sehr gut verstehen, wenn Menschen klassiches Ballett für romatischen Quatsch halten, oder Merce Cunningham für lächerliche Pseudo-Kunst. Für mich hingegen sieht Tango aus wie wie zwei Menschen, die nicht in der Lage sind, sich ernsthaft zu umarmen und körperlich zu begegnen.

Ich glaube, dass wenn ich genug Technik und Training entwickelt habe, in der Lage wäre Tango zu tanzen. Das würde mein echtes Können ausmachen. Nur eben, wenn jegliches Denken an die andere Person oder fühlen mit oder für die Person gewichen ist. Mit ausschließlichem Gefühl für die Kunst, die Form und die Technik. Aber da würde ich mich dann fragen: Wieso Paartanz? Und wieso Tango? Wenn es Kunst ist, gehört es auf die Bühne, als Choreografie, Theater, Aussage, Experiment.